Predigtreihe Evangelisch in Dörnigheim

Frei im Glauben von Pfarrer Dr. Martin Streck

Liebe Gemeinde,
ein Kind ist hochgekrabbelt. Oben auf einer Mauer steht es. Der Atem geht ihm schnell. Es blickt herum, weit herum, das gefällt dem Kind. Blickt es hinunter, könnte es sich fürchten. Doch unten steht sein Vater, breitet die Arme aus. Er schaut sein Kind an, macht ihm Mut und sagt: „Spring! Ich fang dich auf!“
Das Kind fühlt sich frei. „Mein Vater da unten, er fängt mich auf.“ Und selbst, wenn es nicht springt, wenn es herunterkrabbelt, wie es nach oben gekommen ist, der Vater wird das Kind in seine Arme schließen und die beiden werden glücklich sein. Nicht jedes Abenteuer muss man wagen. Die zwei, Kind und Vater, haben sich. Sie sind einander gewiss. Das Kind noch klein, der Vater erwachsen, sie verlassen sich aufeinander.
Für heute, liebe Gemeinde, für unsere Predigt zum Pfingstfest, hören wir Worte Jesu, Abschiedsworte, aus dem Evangelium nach Johannes, im sechzehnten Kapitel. Und ich bitte Sie, nehmen Sie beim Hören das Bild von dem Kind und dem Vater mit in die Worte, die wir nun hören.
4 Ich habe es euch nicht von Anfang an gesagt, weil ich ja bei euch war.5 Jetzt aber gehe ich zu dem, der mich gesandt hat,
und niemand von euch fragt mich: Wohin gehst du?6 sondern weil ich euch das gesagt habe, hat Trauer euer Herz erfüllt.7 Doch ich sage euch die Wahrheit: Es ist zu eurem Wohl, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, wird der Fürsprecher nicht zu euch kommen; wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch senden.8 Und wenn er kommt, wird er die Welt überführen und aufdecken, was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist.9 Sünde: dass sie nicht an mich glauben; 10 Gerechtigkeit, dass ich zum Vater gehe und ihr mich nicht mehr seht; 11 Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist. 12 Noch vieles hätte ich euch zu sagen; doch ihr könnt es jetzt nicht ertragen.13 Wenn er aber kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit leiten; denn er wird nicht aus sich selbst reden; sondern was er hören wird, wird er reden, und was kommen wird, wird er euch kundtun. 14 Er wird mich verherrlichen, denn aus dem Meinen wird er empfangen und euch kundtun.15 Alles, was der Vater hat, ist mein. Darum habe ich gesagt, dass er aus dem Meinen empfängt und euch kundtun wird.

Liebe Gemeinde,
Worte zum Abschied hat Jesus da gesprochen. Er bereitet die Jünger darauf vor, dass er fortgeht, hin zu seinem Vater. Er ahnt, wie hart es wird, diesen Weg zu gehen. Er braucht allen Mut, und wird ihn doch verlieren, bis er in den Tod versinkt, am Kreuz von Mensch und Gott verlassen.
Die Jünger werden sich nach ihm sehnen. Auch nach Ostern, wenn Jesus auferstanden ist und lebt. Auch nach Himmelfahrt, wenn er in Gottes Herrlichkeit hinein verschwunden ist. War Jesus nahe, fühlten sie sich stark und sicher, konnte er mit einem Blick oder einem kurzen Wort sie trösten oder nachdenklich machen. Er war da, er fing sie auf.
Jesus versprach den Jüngern einen anderen Tröster, einen Beistand. Von Gott wird er ihn schicken, darum muss er zum Vater gehen. Sie werden trauern, wenn Jesus fort ist. Sie dürfen trauern. Trauer ist menschlich, die andere Seite der Liebe. Schmerzlich sehnt sich, wer liebt, nach dem Geliebten. Kann es kaum abwarten, dass er wieder da ist. Wenn es kein Wiedersehen geben wird, überkommt uns Trauer, übermächtig, wir sind allein.
Nun sagt Jesus genauer, was der Beistand den Jüngern geben wird. Doch halt, hören wir genau hin! Jesus sagt: wenn ich nicht weggehe, wird der Fürsprecher nicht zu euch kommen; [...] wenn er kommt, wird er die Welt überführen. Was wird der Geist tun? Jesus nennt ihn Fürsprecher. Wie Jesus ist Gottes Geist zuallererst für. Für die Menschen, die sich Gott öffnen, die wie die Jünger sich von Jesus haben bewegen und einnehmen lassen. Aber der Geist ist auch für die Welt. Er verbreitet nicht immer und ausschließlich Feierlaune. Er überführt die Welt und so ist er für die Welt.
Wir müssen nur recht fassen, was die Welt ist. Mit einem einfachen Innen und Außen ist es nicht getan. Nicht Kirche und Welt, die sich voneinander abschließen. Deutlich sehen wir das, wenn Jesus erklärt, worin der Fürsprecher [...] die Welt überführen wird: Er wird aufdecken, was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist.
Liebe Gemeinde, ich weiß nicht ob Sie das heute wissen wollen. Wir haben einen großen Festtag, auch wenn es keine Geschenke gibt wie an Weihnachten. Morgen geht es ja weiter, mit einem freien Tag, dass wir Gottes Güte schmecken und preisen können. Ob es schal schmeckt, wenn ich jetzt mit der Sünde anfange?
Gehen wir noch einmal zurück zu dem Bild von dem kleinen Kind und seinem Vater, auf dem Sprung. Es gehört schon was dazu, zu springen. Denn dazwischen klafft der Sund. Wie der Öre-Sund zwischen Dänemark und Schweden oder der Strelasund zwischen der Insel Rügen und der Stadt Stralsund. Diesen Sunde überwinden wir Menschen mit Schiffen oder langen Brücken. Weitsprung reicht da nicht. Mit 8,95 m Weltrekord der Männer und 7,52 m bei den Frauen kommen wir da nicht hin.
Wo ein Sund ist, da ist eine Insel vom Land abgesondert. Wir Menschen sind jeder und jede ein besonderer Mensch. Doch leben können wir nur miteinander, ja wir brauchen einander, wenn wir erkennen wollen, dass wir besondere Menschen sind. Darum geraten wir mit unserem Leben so durcheinander, wenn wir uns absondern. Sünde nennt das die Bibel. In Absonderung leben, das meint Jesus, wenn er von der Welt spricht.
Nun wird der Fürsprecher aufdecken, was Sünde ist. Jesus erklärt es: dass sie nicht an mich glauben. Denkt an das Kind auf der Mauer, an seinen Vater, die Arme ausgebreitet. Wenn die zwei sich vertrauen, ist das Kind frei, zu springen oder herunter zu krabbeln. Frei im Glauben.
Die Jünger lieben Jesus und vertrauen auf ihn. Darum werden sie ihn vermissen und trauern. Sie lassen es an sich heran, sind offen für andere, für das, was um sie herum geschieht. Sie machen nicht zu, sie sondern sich nicht ab. Sie machen darum sicher nicht alles richtig. Aber was sie machen, vor allem seit der Fürsprecher bei ihnen ist, sie tun es im Vertrauen auf Gott.
Das zweite Werk des Fürsprechers ist die Gerechtigkeit. Jesus erklärt es: Ich gehe zum Vater und ihr werdet ihn hinfort nicht mehr schauen. Jesus wird sterben, aus dem Grab, von den Toten auferstehen und zum Vater gehen. Das haben wir doch von Ostern bis Himmelfahrt gefeiert. Im Dunkel des Ostermorgens und an der Sonne am Mainufer an Himmelfahrt. Das ist unsere Gerechtigkeit. Das macht uns gerecht. Nicht unser Tun und Lassen, unser guter Wille, wenn er denn mal vorhanden ist, nicht unsere Leistung. Nein: Jesus trug unsere Sünde, fiel in den Sund des Todes, nahm weg, was uns trennt und absondert. Und mit ihm sind wir beim Vater, ganz nah, gerecht.
Das dritte Werk des Fürsprechers: Er wird aufdecken, was Gericht ist. Der Fürst dieser Welt ist gerichtet. Es ist der Sonderfürst, der Keile zwischen Menschen treibt, sie auseinander und aufbringen will gegeneinander. Der dem Kind auf der Mauer sagt: Dein Vater fängt dich nicht. Vertrau ihm nicht. Er lügt. Der uns sagen will: Wo ist nun dein Gott, dein Jesus?
Doch der Sonder- und Lügenfürst ist gerichtet. Denn Jesus hat die Einsamkeit des Todes, die Sonderheit unserer Sünde erlitten und durchschritten. Er ist Weg und Wahrheit und Leben, immer offen für uns, nichts und niemand kann den Weg verschließen.
Denkt noch einmal zurück an das Kind auf der Mauer. Es schaut seinem Vater in die Augen und sieht darin Vertrauen und findet dadurch wieder ins Vertrauen zurück. Dieser Blick! Wie ein drittes zwischen beiden verbindet es Kind und Vater. Das Kind erkennt den Vater, weiß im Schauen wer sie sind, Du, mein Vater, ich, dein Kind.
Der Fürsprecher ist treu. Aus dem Meinen wird er empfangen, sagte Jesus. Was er hört, das wird er reden. Es ist der Geist Jesu. Wer immer Jesus als Herrn bekennt, ist von diesem Geist bewegt. Der redet von Jesus und erinnert, was er für uns getan hat.
Das Kind wird seinen Vater im Herzen tragen. „Er hat mich aufgefangen und gehalten. Auf meine Beine hat er mich gestellt und mir Mut, mich groß gemacht.“ So wird das Kind ein freier Mensch, nicht losgelöst von seinen Eltern und den anderen Menschen. Gehalten und verbunden, wird es frei, das Leben zu wagen.
Frei macht uns der Fürsprecher, der Geist, den Jesus uns versprochen. Frei im Glauben, frei für Gott und die Menschen. Frei für den, der Hilfe braucht, weil uns von Gott geholfen ist. Frei von falscher Furcht, weil der Sonder- und Lügenfürst der Welt gerichtet ist.
Was Gott in Jesus angefangen, haben wie Weihnachten gefeiert. Wie Jesus im Tod sein Leben vollendet und in seiner Auferstehung unseren Tod für immer besiegt hat, das haben wir Ostern gefeiert. Nun feiern wir den Geist des Vaters, den Jesus, der Sohn, uns gesendet hat – an Pfingsten. Der Geist, ein Feuer, das die Herzen entflammt, dass sie für Jesus brennen, für den Gott, der in unserem Nächsten uns begegnen wird. Wir tragen im Herzen den Gott, der uns trägt. Frei im Glauben an den, der uns befreit hat auf ewig.
Amen.